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Rohlfs' Fahrt auf dem Niger
Die nachfolgend beschriebenen Ereignisse fallen in das Jahr 1867, und sie stellen den Abschnitt dar, den Gerhard Rohlfs auf dem Fluß Niger stromaufwärts zurücklegte, zwischen Lokoja und Jebba, nachdem er zuvor mit dem Boot den Benue stromab gefahren war. Von dort setzte Rohlfs die Reise wieder auf herkömmliche Weise fort, bis er am 25. Mai als erster, der die Sahara von Nord nach Süd durchquert hatte, Lagos am Golf von Guinea erreichte.
"Ein
Hauptthema unserer Unterredungen bildete von Anfang an die
Beratschlagung über den Weg, den ich nehmen müsse, um an die
Küste zu gelangen. Mein Plan war gewesen, mit einem Boot von
Lokoja den Niger bis zur Einmündung des Nun hinabzufahren, wo
nach den Kartenangaben die englische
Station Palm-Port liegen soll; von da, meinte ich, würden mir
die dort ansässigen Europäer bei der Weiterfahrt behilflich
sein. Mr. Fell belehrte mich aber, daß es eine Niederlassung
Palm-Port an der Nun-Mündung nicht gebe, und daß ich mit meinem
Boot unfehlbar einem der wilden, raub- und mordsüchtigen
Negerstämme, die in den Gegenden am unteren Niger hausen, in die
Hände fallen würde; ebenso gefahrvoll und ungangbar sei der
Landweg über den Berg Patte direkt nach Westen, seit mehreren
Monaten schon hätten selbst von den in seinem Dienst stehenden
Botenläufern keiner sich zur Küste durchschlagen können.
Wiederholt redete er mir daher zu, ich möchte bei ihm bleiben,
bis nach beendeter Hochwasserzeit, also in fünf bis sechs
Monaten, das Dampfschiff von Lagos heraufkäme. Da ich indes auf
meinem Entschluß, die Reise fortzusetzen, beharrte, machte er
mir den Vorschlag, mit Geschenken für den König von Nyfe den
Niger stromauf nach Rabba zu fahren und von da südwestlich durch
das Joruba-Gebiet gehend die Küste zu erreichen. Die bezeichnete
Route war freilich ein bedeutender Umweg, doch schien einerseits
in der Tat eine direktere Linie weder zu Wasser noch zu Land
passierbar, andererseits gereichte es mir auch zur Befriedigung,
dem gastfreundlichen Gouverneur einen Dienst erweisen zu können;
er hätte sonst nämlich selbst die Reise nach Rabba unternehmen
und die Geschenke an König Massaban in Person überbringen
müssen. So ging ich denn ohne langes Besinnen auf den Vorschlag
ein.
Jetzt
beschäftigten sich die Herren aufs angelegentlichste mit der
Sorge für meine Ausrüstung zur Reise. Sie mieteten das Boot,
auf dem ich von Imaha gekommen war, für die Nigerfahrt bis Egga,
ließen es ausbessern und mit sechs Ruderern bemannen. Den für
Massaban bestimmten Waren, roter Samt, seidene Tücher, Korallen,
Glasperlen usw. fügten sie eine Menge anderer bei, damit ich mir
durch Geschenke an die Häuptlinge in den noch zu durchreisenden
Gebieten deren Freundschaft und gute Aufnahme erkaufen könne.
Desgleichen verproviantierte man mich reichlich mit Lebensmitteln
und ergänzte auch meinen zu Ende gehenden Vorrat an Chinin. Zwei
beim Gouvernement angestellte Dolmetscher wurden mir beigegeben,
einer für Nyfe und einer für die Joruba-Länder. Meine beiden
Diener Hammed und Noël erhielten an einem getauften, etwas
englisch redenden jungen Neger namens Tom einen neuen Kameraden.
Bis zum 2.
April waren alle die fürsorglichen Reisevorkehrungen beendet. Am
Morgen dieses Tages versammelten wir uns noch einmal in Mr.
Robins' Veranda zum gemeinsamen Frühstück; dann begleitete man
mich ans Ufer, wo das Boot zur Abfahrt bereitlag und die halbe
Einwohnerschaft von Lokoja sich als Zuschauer eingefunden hatte.
Als ich das Boot bestieg, wurde die englische Flagge aufgehißt,
und gleichzeitig donnerten neun Salutschüsse aus den Kanonen vor
dem Gouvernementsgebäude. Ich tauschte mit den zurückbleibenden
Freunden die letzten Abschiedsgrüße. Es sollte leider ein
Abschied auf Nimmerwiedersehen sein; bald nach meiner Ankunft in
Europa ging mir die betrübende Nachricht zu, daß Mr. Fell bei
der Abwehr eines Angriffs feindlicher Neger seinen Tod gefunden,
und daß um dieselbe Zeit Mr. Robins infolge der geringen
Widerstandsfähigkeit seiner Körperkonstitution einer
klimatischen Krankheit erlegen war.
Das schönste
Wetter begünstigte unsere Abfahrt. Am Tag vorher gefallener
Regen und ein frischer Seewind hatten die Atmosphäre gereinigt,
nur einzelne weiße Haufenwolken schwammen in dem klaren
Himmelsblau. Taktmäßig und eigentümlich mit der Zunge dazu
schnalzend, stießen die sechs Ruderer ihre Schaufeln in den
Strom, und zwar absichtlich so, daß bei jedem Stoß ihr nackter
Körper von oben bis unten mit dem kühlenden Naß bespritzt
wurde.
Gegen sechs Uhr
abends legten wir in der Nähe eines kleinen Uferdorfes an. Hier
wurde zum Nachtmahl aus dem mitgenommenen Proviant eine Ziege
geschlachtet und das Fleisch über Kohlenfeuer geröstet. Aber
noch waren die Stücke nicht gar, da begann dichter Regen
herabzuströmen, der die Flamme unseres unbedeckten Kochherdes
auslöschte. Doch genug - ich will die Leser nicht mit den
täglichen Vorkommnissen einer volle vierzehn Tage währenden
langsamen Flußfahrt ermüden, zumal in bezug auf Szenerie und
Staffage dieser Teil des Niger von der Strecke, die ich auf dem
Benue befuhr, sich im ganzen wenig unterscheidet. Nur fand ich
die Fahrt selbst um vieles unangenehmer. Mit Sonnenaufgang
stellte sich stets eine Gattung mikroskopischer Fliegen ein, von
den Engländern »sandfly« genannt, deren Stich eine
schmerzhafte Geschwulst verursacht; gegen elf Uhr vormittags
zogen sich diese fast unsichtbaren Plagegeister zurück, aber
dann quälte uns die drückende Hitze, da wir, um der starken
Gegenströmung in der Mitte des Flusses auszuweichen, immer dicht
am Ufer hinrudern mußten, wo kein Luftzug uns Kühlung zuwehte.
Sobald die Hitze etwas nachließ, waren auch die giftigen kleinen
Fliegen wieder da, und wenn sie nach Sonnenuntergang endlich
verschwanden, übernahmen es Myriaden von Moskitos, die Menschen
nicht zur Ruhe kommen zu lassen.
Nach fünf
Tagen erreichte das Boot die Stadt Egga am rechten Nigerufer. Ich
begab mich sogleich zu dem Vorsteher der dortigen englischen
Filial-Faktorei, an den ich Briefe von Mr. Fell zu überbringen
hatte. Es war ein noch ziemlich junger Mann, ein aus Sierra Leone
gebürtiger Neger namens James, der einzige Christ in Egga. Durch
ihn ward ich dem Sserki des Distrikts vorgestellt, und dieser
verschaffte mir nicht nur ein Regierungsboot bis Rabba, sondern
schiffte sich auch selbst mit ein, um mich persönlich zum König
zu führen. Er teilte mir mit, der König residiere gegenwärtig
nicht in Rabba, auch nicht in seiner eigentlichen, im südlichen
Teil des Reiches gelegenen Hauptstadt Bidda, er sei im Krieg
gegen eine Rebellenschar begriffen und verweile im Heerlager,
etwa sechs Stunden von Rabba, am Fluß Eku.
Je näher wir
Rabba kamen, desto mehr durch den Krieg zerstörte Dörfer
zeigten sich zu beiden Seiten des Flusses. Am 16. April abends um
sieben Uhr passierten wir eine Gruppe von Inseln, die jetzt als
Hafen für die Kriegsflotte und als Lagerplatz für ihre
Mannschaft diente. Wohl an die fünfhundert Kanus lagen hier
beisammen, von denen die kleinsten für etwa dreißig, die
größten für hundert Mann Raum bieten mochten. Die Kanus der
verschiedenen Stämme hatten verschiedene Formen; die der Kakanda
z.B., eines an der rechten Seite des Niger nordwestlich von
Lokoja wohnenden Stammes, zeichneten sich durch ihre Breite aus,
wogegen die der Schaba, eines Inselvolkes, besonders lang und
schmal gebaut waren. So hat auch jeder Stamm, wie man mir sagte,
seine eigene Kampfweise. Die Kakanda, die mit Flinten bewaffnet
sind, lassen ihre Kinder die Ruderschaufeln führen und
schießen, im Mittelraum des Bootes postiert, über deren Köpfe
hinweg; die Schaba handhaben selbst abwechselnd das Ruder und
ihre Waffe, den Wurfspieß. Die vom aufgehenden Mond beleuchteten
Inseln mit den Tausenden zwischen Bäumen, Zelthütten,
Waffenpyramiden, Lagerfeuern umherlaufenden schwarzen Gestalten
boten ein höchst phantastisches Bild.
Noch eine halbe
Stunde, und wir landeten am linken Ufer im Hafen von Rabba. Statt
einer großen volkreichen Stadt, wie ich erwartet hatte, fand ich
jedoch nur durch Brand geschwärzte, dachlose, meist von ihren
Bewohnern verlassene Hütten. Kaum fünfhundert Menschen waren
darin zurückgeblieben. Wir wurden in einer halbzerstörten
Hütte aufs kümmerlichste untergebracht, und da wir hier nicht
lange bleiben konnten, schickte ich sofort einen Boten an König
Massaban, durch den ich ihm meine Ankunft in Rabba melden und ihn
ersuchen ließ, mir schleunigst ein Pferd zum Ritt ins Lager zu
senden. Trotzdem vergingen vier volle Tage, vergebens harrte ich
von Stunde zu Stunde auf die Rückkehr des Boten.
Rabba liegt am
letzten Ausläufer der Admiralitätsberge, auf dem südlichen
Abhang eines Felsrückens, der unmittelbar ans Ufer des Flusses
herantritt. Zur Zeit, als der Sklavenhandel an der afrikanischen
Westküste noch schwunghaft betrieben wurde und die Karawanen aus
dem Inneren hier durchzogen, gehörte Rabba zu den bedeutendsten
Städten im Westen. Jetzt zeugen nur die stehengebliebenen
Umfassungsmauern von der ehemaligen Größe der Stadt, und auch
das früher meilenweit angebaute Land ist bis auf eine paar
Getreidefelder zu beiden Seiten des Gingi wieder verödet und mit
wildwucherndem Unterholz bewachsen.
Am vierten Tag
mittags kam endlich der ersehnte Bote zurück. Ohne sich wegen
der langen Verzögerung entschuldigen zu lassen, sandte mir
König Massaban ein Pferd und einen Korb mit Kola- (Goro-)
Nüssen. Nachmittags um fünf machte ich mich mit meiner ganzen
Begleitung auf, um noch in der Nacht das Lager zu erreichen; ich
allein war zu Pferd, alle anderen, auch der Sserki, mußten zu
Fuß folgen. Es dauerte über eine halbe Stunde, ehe wir das alte
Stadtgebiet in nordwestlicher Richtung durchmessen und die Mauern
hinter uns hatten. Dann führte der Weg drei Stunden lang durch
einen hochstämmigen Baumwald zu dem malerisch gelegenen Ort Moo;
von da marschierten wir noch drei Stunden bei Mondschein über
großwelliges Terrain, das von dem Flüßchen Edda und vielen
kleinen Rinnsalen durchschnitten ist, und langten erst kurz vor
Mitternacht am linken Ufer des Eku an, wo eine Abteilung des
königlichen Heeres, meist aus Reiterei bestehend, gelagert war.
Morgens brachte
uns ein Fährboot hinüber ans rechte Ufer, und nach einigen
hundert Schritten betrat ich das Lager der großen Armee. Im Lauf
des Vormittags fand die Empfangsaudienz beim König statt. Er
saß unter einer von allen Seiten offenen, nur vorn durch seidene
Vorhänge verschließbaren Hütte etwas erhöht auf einer
Giraffenhaut; ihm gegenüber kauerte auf dem bloßen Sandboden in
fünf Reihen hintereinander eine Versammlung von etwa hundert
Männern, alle so wie er selbst dürftig und unsauber gekleidet.
Mich hieß er auf einer zierlich geflochtenen Matte dicht zu
seinen Füßen Platz nehmen. König Massaban schätzte sein
Alter, wie man mir gesagt, auf fünfzig Jahre; ich hätte ihn dem
Aussehen nach für jünger gehalten, obgleich er schon Vater von
sechzig Söhnen und einer gleichen Anzahl Töchter war. Von
dunkelschwarzer Hautfarbe, verriet er doch in der regelmäßigen
Gesichtsbildung seine Abstammung aus Fellata-Geblüt. Sobald die
üblichen Begrüßungsformeln gewechselt waren, teilte er eine
Kola-Nuß mit mir, was als Friedens- und Freundschaftszeichen
gilt und aus der Hand eines Fürsten als besonderer Gunstbeweis
angesehen wird. Hierauf brachten die Diener eine Schüssel Milch,
Lammfleisch und einen Topf voll Honig. Unsere Unterhaltung bezog
sich meist auf meine bisherige Reisetour, namentlich schien den
König alles, was ich von Bornu erzählte, zu interessieren. Von
der Faktorei in Lokoja sprach er mit freundlichen Worten, doch
dürfte seine Freundschaft wohl eine erheuchelte sein und
lediglich auf Eigennutz beruhen, indem er sich durch Vermittlung
der Engländer Flinten und Pulver zur Bekämpfung seiner
rebellischen Untertanen verschafft; daß er als Muselman die
Ausbreitung einer christlichen Gemeinde auf die Dauer
gleichgültig mitansehen werde, möchte ich wenigstens stark in
Zweifel ziehen.
Als ich mich
wieder empfahl, wurde mir die Matte, auf der ich gesessen hatte,
eine wirklich vorzügliche einheimische Arbeit, nachgetragen,
ferner ein Topf Palmöl, ein Gefäß mit Butter und ein Gebund
Zwiebeln. Auch zwanzigtausend Muscheln ließ mir der König
aushändigen; sie reichten freilich kaum hin, um davon die
nötigen Trinkgelder an seine Diener zu bestreiten. Die enge,
dumpfe und feuchte, keinen Schutz gegen die häufigen
Gewitterregen bietende Strohhütte, welche man uns zur Wohnung
anwies, entsprach, selbst in Berücksichtigung, daß wir uns im
Lager befanden, nicht meinen bescheidensten Erwartungen. Dabei
stand sie mitten im ärgsten Getümmel, wo das Trommeln und
Pfeifen, das Ausschreien von Lebensmitteln und das Toben der oft
berauschten Soldaten bis tief in die Nacht hinein währte und
mich keinen Augenblick Ruhe finden ließ.
Anderen Tags
stieg ich zu Pferd, um das Lager in seiner ganzen Ausdehnung zu
durchreiten. Es hatte in der Tat einen imposanten Umfang, denn
ich taxierte die Zahl der Hütten auf annähernd zwanzigtausend
und glaube, daß mit Einschluß der Weiber, Kinder und Sklaven
nicht weniger als hunderttausend Menschen hier beisammen waren.
Überall aber lagen Kadaver gefallener Tiere oder Haufen die Luft
verpestenden Unrats, von ekelhaften Insekten umschwärmt. Bei der
Rückkehr begegnete mir der König in militärischem Paradezug.
Voran schritt das Musikkorps, mit großen und kleinen Trommeln,
hölzernen Trompeten, dudelsackähnlichen Pfeifen und eisernen
Klappern; hinter ihm marschierte eine Kolonne von zwei- bis
dreihundert mit Flinten bewaffneter Fußsoldaten; dann kamen die
königlichen Vorreiter, der königliche Schwertträger, und nach
letzterem König Massaban selbst zu Pferd, diesmal in reicher
Kleidung: Sie bestand aus einem im Land gefertigten blauen Hemd,
einem weißen, mit Gold und bunter Seide gestickten Tuchburnus,
rot und weiß gestreiften seidenen Hosen, roten Saffianstiefeln
und einem Fes. Unmittelbar hinter ihm ritten zwei Leibgardisten
mit einem Schild aus Hippopotamusleder, so groß, daß er Mann
und Roß bedeckte, und an sie schloß sich in gemessener
Entfernung die Suite der Generale an, jeder von einer Anzahl
Sklaven gefolgt.
Nachmittags um
drei Uhr überreichte ich in feierlicher Audienz die aus Lokoja
mitgebrachten Geschenke, welche Sr. Majestät allerhöchsten
Beifall fanden. Als Gegengeschenk erhielt ich zwei kunstvoll
gestickte Toben und jeder von meinen Dienern zwanzigtausend
Muscheln. Dieser Audienz wohnte der gesamte Hofstaat des Königs
bei.
Am dritten Tag
begab ich mich, den Dolmetscher mitnehmend, unangemeldet zum
König, der mich auch sogleich empfing und seine Dolmetscher
rufen ließ. Jetzt verhehlte ich ihm nicht, daß ich als Fremder,
als Christ und als Beauftragter der Engländer in Lokoja, von
denen er so großen Vorteil ziehe, eine bessere und
achtungsvollere Aufnahme erwartet hätte, indem ich namentlich
seine Rücksichtslosigkeit, mich vier Tage in Rabba ohne Bescheid
auf meine Botschaft zu lassen, und das elende Quartier im Lager,
wo ich viel geräumigere und wohnlichere Hütten gesehen hatte,
mit scharfen Worten hervorhob. Schließlich zeigte ich ihm an,
ich sei entschlossen, den nächsten Tag abzureisen. Seine Antwort
lautete nach des Dolmetschs Übersetzung, wenn ich abreisen
wolle, werde er mir ein Pferd, einen Führer und einen
Gepäckträger bis Ilori mitgeben.
Somit schien
mir alles in bester Ordnung und meine Abreise durch nichts
behindert zu sein. Nachdem die Sachen gepackt waren, brachen wir
auf und gelangten gegen vier Uhr nachmittags ans Ufer des Eku.
Hier aber weigerten sich die Fährleute, uns überzusetzen, und
während ich noch mit ihnen verhandelte, kam ein Bote des Königs
mit der Aufforderung, ich solle ins Lager zurückkehren. Ich
erwiderte, dazu hätte ich keinen Grund, und wenn man mir nicht
binnen einer Stunde die Fähre zur Verfügung stelle, würde ich
mit meinem Schwimmgürtel über den Fluß schwimmen. Darauf kam
der Sserki, der mich von Egga aus begleitet hatte, gefolgt vom
Dolmetsch und zwei königlichen Dienern, und meldete mir: Sein
Herr sei höchst ungehalten, daß ich mich heimlich entfernt
habe; er wolle mich zwar nicht länger halten, breche aber alle
Freundschaft mit mir ab und sende zum Zeichen dessen meine
Geschenke zurück. Nun klärte sich das Mißverständnis auf. Der
Dolmetsch hatte aus Furcht vor dem Zorn des Despoten demselben
weder meine vorwurfsvolle Rede noch die Anzeige von meiner nahen
Abreise verdolmetscht. Als nun dem König hinterbracht wurde,
daß ich das Lager ohne Abschied zu verlassen im Begriff stehe,
gab er in seinem ersten Ärger Befehl, mir die Überfahrt über
den Fluß nicht zu gestatten. Unter diesen Umständen und
eingedenk meiner von den englischen Freunden in Lokoja
übernommenen Mission hielt ich es doch nicht für schicklich, in
Unfrieden von Massaban zu scheiden. Ich kehrte daher mit dem
Sserki zurück und ließ den König um Wiederannahme der
Geschenke bitten, der mir denn auch noch abends als Pfand der
Versöhnung und des wiederhergestellten Friedens einen großen
Napf Milch in meine Wohnung schickte.
Am 26. April
verabschiedete ich mich in öffentlicher Versammlung. Der König
erwähnte des Zwischenfalls mit keiner Silbe, er wünschte mir
Glück zur Reise und ließ uns einen Vorrat von Kola-Nüssen,
getrocknetem Fleisch und mit Honig vermengten Reiskügelchen
zustellen. Ohne Störung wurde nun der Rückweg nach Rabba
angetreten, wo wir denselben Abend wohlbehalten wieder eintrafen.
In Rabba
erhandelte ich ein Pferd zur Weiterreise um den Preis von
achtzigtausend Muscheln, der mir für die dortige Gegend und in
Anbetracht des derzeitigen Kriegsbedarfs nicht zu hoch erschien.
Am 2. Mai brachen wir auf. Die Überfahrt über den Niger nahm
eine gute halbe Stunde in Anspruch, da die Fährleute das Boot
erst eine Strecke weit am linken Ufer hinaufrudern mußten, um es
dann durch die starke Strömung zu bugsieren. Anderthalb Stunden
südlich vom jenseitigen Ufer gelangten wir an tote Hinterwässer
des Niger, welche sich hier zur Zeit des Hochwassers ins Land
hinein verbreiten. Nahe bei denselben auf einem weiten, Fanago
genannten Platz lagerte eine kleinere Abteilung des königlichen
Heeres, etwa sechstausend Mann; mit Inbegriff der Weiber, Kinder
und Sklaven mochten aber wohl zwanzigtausend Menschen hier
versammelt sein. Kurz vor uns war der Damraki, der erste Ratgeber
oder Minister am Hofe Massabans, in Fanago eingetroffen, welcher
dem Sultan von Ilori, der mit dem König verbündet war, einen
prächtigen Rappenhengst als Geschenk von diesem zu überbringen
hatte und gleich mir im Lager über Nacht blieb. Ich wurde in
eine Hütte zwischen der seinigen und der des Oberbefehlshabers
einquartiert. Frühmorgens weckte mich ein betäubender Lärm aus
dem Schlaf; fünfzig Trommler brachten dem Damraki ein
Ständchen, und kaum damit fertig, rückten sie auch vor meine
Tür, den Spektakel von neuem beginnend. Rasch schickte ich ihnen
einige hundert Muscheln heraus, mit dem Bedeuten, aufzuhören
oder weiterzuziehen; allein sie schlugen nur um so unbarmherziger
auf ihre Pauken los, und nichts von dem Ohrenzwang sollte mir
erspart bleiben.
Anderentags
hatten wir nur noch einen Weg von zwei Stunden südwärts
zurückzulegen und hielten dann vor dem Tor der Stadt
Saraki."
Aus: Gerhard Rohlfs, Quer durch Afrika, Edition Erdmann in K. Thienemanns Verlag, Stuttgart-Wien, 1984.